Seit
dem Tod Ernst Jüngers sind bereits 15 Jahre vergangen. Und noch
immer taugen seine Person und sein disparates Schaffen für
Kontroversen. Titel wie „Der Kampf als inneres Erlebnis“ (1922)
oder „Die totale Mobilmachung“ (1931) sind auch für Bewunderer
seiner reifen Prosa mit dieser nur schwer in Einklang zu bringen.
Ganzheitliches Denken, Fragen nach den Perspektiven des Universums und welche Rolle der Mensch darin spielt, prägen vor allem sein Spätwerk. Vieles davon nimmt Diskussionen um Klimawandel und Globalisierungsfolgen vorweg, und sicher gibt es hier noch manches zu entdecken, was sich vom momentanen Aktionismus in der Politik wohltuend abhebt. Dagegen stand das Werk Friedrich Georg Jüngers immer im Schatten des Autors der „Stahlgewitter“. Es umfasst Lyrik, Erzählungen, mehrere Romane und kulturgeschichtliche Abhandlungen. Letztere waren Ergebnis oder Ausgangspunkt eines lebenslangen Dialogs unter Brüdern, und haben nicht selten Ernst Jüngers Positionen beeinflusst. Wie stark etwa der Eindruck von Friedrich Georgs zivilisationskritischen Essay „Die Perfektion der Technik“ (1949) und seiner anderen theoretischen Schriften auf den drei Jahre älteren Bruder war, auch davon erzählt Jörg Magenaus beachtenswerte Doppelbiographie „Brüder unterm Sternenzelt“. Es ist sein Verdienst, der Gestalt Friedrich Georg Jüngers neben der des berühmteren Bruders den ihr gebührenden Rang einzuräumen, ihr Kontur und Stimme zu geben und damit auch Ernst Jünger in einem gleichsam weicheren Licht zu zeichnen.
Ganzheitliches Denken, Fragen nach den Perspektiven des Universums und welche Rolle der Mensch darin spielt, prägen vor allem sein Spätwerk. Vieles davon nimmt Diskussionen um Klimawandel und Globalisierungsfolgen vorweg, und sicher gibt es hier noch manches zu entdecken, was sich vom momentanen Aktionismus in der Politik wohltuend abhebt. Dagegen stand das Werk Friedrich Georg Jüngers immer im Schatten des Autors der „Stahlgewitter“. Es umfasst Lyrik, Erzählungen, mehrere Romane und kulturgeschichtliche Abhandlungen. Letztere waren Ergebnis oder Ausgangspunkt eines lebenslangen Dialogs unter Brüdern, und haben nicht selten Ernst Jüngers Positionen beeinflusst. Wie stark etwa der Eindruck von Friedrich Georgs zivilisationskritischen Essay „Die Perfektion der Technik“ (1949) und seiner anderen theoretischen Schriften auf den drei Jahre älteren Bruder war, auch davon erzählt Jörg Magenaus beachtenswerte Doppelbiographie „Brüder unterm Sternenzelt“. Es ist sein Verdienst, der Gestalt Friedrich Georg Jüngers neben der des berühmteren Bruders den ihr gebührenden Rang einzuräumen, ihr Kontur und Stimme zu geben und damit auch Ernst Jünger in einem gleichsam weicheren Licht zu zeichnen.
Zu Beginn nimmt Magenau seine
Leser mit ins Arbeitszimmer des hundertjährigen Ernst Jünger nach
Wilflingen. „Er wartete nicht auf den Tod. Der Tod war immer schon
da, war ein Bruder, ein guter Freund. Irgendwann würde er ihm die
Hand reichen und hinübertreten auf die andere Seite der Dinge“.
(S.9) Auf dieser anderen Seite befindet sich Friedrich Georg
seit fast zwanzig Jahren. Die Bilder der Toten dienen Ernst zur
Zwiesprache und zur Vergewisserung; sie sind Teil seiner
Sammelleidenschaft geworden wie die „letzten Worte“, wie
Mineralien und Käfer, Sanduhren oder die martialischen Andenken aus
dem Ersten Weltkrieg. Hier schließen sich alle Kreise, hier lagern
die Schichten, Sedimenten gleich, aus denen der greise Dichter seine
Träume empfängt und Erinnerungen schöpft. Und die an den Bruder
sind oft die intensivsten. Schon ein Vogellaut kann sie auslösen.
Denn wie Ernst in die Ordnungen der Insekten eindrang, um den
Welträtseln auf die Spur zu kommen, waren es für Friedrich Georg
die Vögel, denen seine Leidenschaft galt. „So einen Bruder zu
haben ist ein Glück. So ein Bruder ist ein Geschenk. Das Gespräch
mit ihm war der Maßstab für alle anderen Gespräche. Es war eine
Form der Osmose, ein tiefenwirksamer und lebensnotwendiger Austausch
von Substanz.“ (S.12) Das Sterben des Bruders 1977 war denn
auch eine so schmerzhafte Zäsur im Leben des Älteren, dass Magenau
es im Prolog schon vorwegnimmt.
Dieser mit „Luft“
überschriebene Prolog gibt die Methode vor, auf welche Art Jörg
Magenau uns das Jüngersche Biotop erschließen möchte. Nicht die
äußeren Ereignisse und nicht die Zeitachse bilden das Gerüst,
vielmehr die Landschaften und die „vier Elemente“, in denen die
Brüder zu Hause waren. Die sieben Kapitel heißen Moor, Feld,
Städte, Gärten, Höhlen, Wald und See, und sie gliedern sich
(zusammen mit dem Prolog) in 27 Unterkapitel denen jeweils eines der
Elemente Feuer, Wasser, Erde oder Luft vorangestellt ist.
Rückbesinnungen des Hundertjährigen (Wilflingen 1996) werden dabei
immer wieder eingeschoben. So ergibt sich ein vielfach belichtetes
Bild, das die ineinander greifenden Lebensläufe der Brüder nach
ihren bevorzugten Aufenthaltsorten oder Sehnsuchtsräumen ordnet,
ohne das Geflecht der politischen und sozialen Bindungen zu
vernachlässigen. Das hat die Qualität eines biographischen Romans,
es macht die 300 Seiten zu einem kurzweiligen Lesevergnügen, auch
wenn die Zuordnungen mitunter ein wenig willkürlich anmuten. Ob man
die Jahre 1933 bis 1943 – von den Reaktionen der Brüder auf den
Reichstagsbrand bis zu Ernst Jüngers militärischer Inspektion im
Kaukasus – wirklich unter dem Aspekt „Gärten“ subsumieren
möchte, sei dahingestellt. Vielleicht aber werden so die Brüche
zwischen stilisierter Selbstdarstellung (sowohl bei Ernst als auch
bei Friedrich Georg) und den zusammengetragenen Fakten umso
deutlicher. Wirklich bedauerlich finde ich allerdings das Fehlen
eines Personenregisters, von Bibliographie und Zitaten-nachweis. Das
erschwert nicht nur das Wiederfinden im Text, sondern lässt auch
jeden verzweifeln, der den zahlreichen Funden Magenaus einmal selbst
nachspüren möchte.
Unter den vier Geschwistern
Ernst Jüngers ist Friedrich Georg derjenige, zu dem er sich am
meisten hingezogen fühlt. Schon als Kinder verbringen die Brüder
ihre Zeit am liebsten auf gemeinsamer Pirsch durch Moore und Wälder,
beim Botanisieren und Bestimmen von Pflanzen, beim Beobachten der
Tierwelt rund um das Steinhuder Meer, wo der Vater, ein erfolgreicher
Pharmazeut und Apotheker, ein ansehnliches Grundstück erworben
hatte. Diese Jahre werden ihnen zeitlebens als die paradiesischen
erscheinen, trotz der häufigen Schulverweise von Bruder Ernst und
der strengen Erziehung im Elternhaus. Hier bekommen sie ihre
entscheidenden Prägungen mit – den national-konservativen Geist
der Epoche ebenso wie das positivistische naturwissenschaftliche
Weltbild des Vaters und die musischen Neigungen der Mutter.
Ernst ist derjenige von beiden,
dem diese Welt bald zu eng wird. Als er sich 17jährig bei Nacht und
Nebel davonmacht, um in die französische Fremdenlegion einzutreten
und endlich nach Afrika, dem Kontinent seiner Sehnsucht, zu gelangen,
weiht er Fritz, den Jüngeren, nicht in seine Pläne ein. Fritz
leidet unter der Trennung und dem Vertrauensbruch sehr, doch wird es
ihn später umso mehr drängen, sich dem Älteren als ebenbürtig zu
erweisen. Gelegenheit dafür bietet der Erste Weltkrieg, den Ernst
wie eine Erlösung begrüßt, in dem er von Anfang an in den
Schützengräben Frankreichs kämpft. Fritz meldet sich zwei Jahre
später freiwillig. Während Ernst Jünger als Stoßtruppführer in
vorderster Linie steht und diesen Krieg später zum Gegenstand seines
Eintritts in die Literatur macht, wird Fritz durch einen Lungenschuss
lebensgefährlich verletzt, ohne je selbst einen Schuss abgegeben zu
haben. Einem Zufall nur ist es geschuldet, dass Ernst auf seinen
verletzten Bruder stößt und Maßnahmen zu dessen Abtransport in ein
Lazarett anordnet. Den Brüdern wird dieses Erlebnis zum Wink des
Schicksals, und es schmiedet sie nur noch enger aneinander und
begründet den Mythos von ihrer Unverletzlichkeit. Freilich nagt an
Friedrich Georg auch das Gefühl, versagt zu haben. Nur vor diesem
Hintergrund lässt sich erklären, warum er, der sensible,
öffentlichkeitsscheue und die Einsamkeit Liebende, in den zwanziger
Jahren die militant-nationalistische Publizistik des Bruders an
Schärfe noch in den Schatten stellt. Den verlorenen Krieg, die
Novemberrevolution und den Versailler Vertrag empfinden beide als
Schande für Deutschland, die Weimarer Republik ist ihnen
gleichermaßen verhasst, und die Annäherung an die radikalsten und
militantesten Gruppen im rechten Spektrum dieser Zeit nur
folgerichtig. Berichte von Zeitgenossen, wie Ernst Niekisch oder
Ernst von Salomon, runden das Bild ab. Jörg Magenau beschönigt die
Jahre der Radikalisierung nicht, enthält sich aber weitgehend
nachgeborener Besserwisserei, vielmehr überlässt er es dem Leser,
sich sein Urteil zu bilden.
Ohne sich sklavisch an die
Chronologie zu halten, lässt Magenau die wechselnden Orte und
historischen Ereignisse, an denen die Charaktere der Brüder und
damit ihr umfangreiches Werk sich formen, Revue passieren.
Atmosphärische Dichte erlangen vor allem Passagen, die das Geflecht
an familiären und freundschaftlichen Bindungen inmitten oder auch
jenseits der politischen Grabenkämpfe aufzeigen. Etikettierungen,
wie sie teils durch die öffentliche Wahrnehmung, teils aber auch
durch Selbstinszenierung entstanden sind, werden hinterfragt und
notfalls korrigiert. Weder das Bild des kalten und distanzierten
Beobachters für Ernst, noch das des Stoikers im Elfenbeinturm für
Friedrich Georg Jünger lassen sich aufrecht erhalten, wenn man von
ihrer Teilnahme am aleman-nischen Fasnachtstreiben oder an den
wiederkehrenden Festen des Kirchenjahrs liest, wie überhaupt der
Hang zur Geselligkeit bei beiden einen ebenso hohen Stellenwert
einnimmt wie das Leben nach dem Bauernkalender, nämlich zyklisch,
den Jahreskreis durchschreitend. Ist einer der Brüder mal
nicht mit von der Partie, wird er im nächsten Brief von den
Ereignissen unterrichtet. Zu den Sternstunden brüderlicher Eintracht
gehören die gemeinsamen Reisen – etwa nach Sardinien, lange vor
den ersten Pauschaltouristen und stets mit Tuchfühlung zur
bäuerischen Bevölkerung. Man erfährt, welchen Rückhalt die Brüder
in ihren Familien hatten, welche Rolle die Ehefrauen spielten und was
denen zuweilen auch aufgebürdet wurde. Vor allem Friedrich Georg
hält engen Kontakt zu den Eltern, die seit den zwanziger Jahren im
sächsischen Leisnig wohnen. Nach dem Tod des Vaters, 1943, bleiben
Mutter und der jüngere Bruder Hans in der sowjetischen Zone und
werden damit für Ernst und Fritz unerreichbar. Als Ernst Jüngers
ältester Sohn am Ende des Zweiten Weltkriegs in Italien fällt,
widmet ihm Friedrich Georg eines seiner innigsten Gedichte. Unter den
zahlreichen Gästen, die bei Friedrich Georg am Bodensee oder bei
Ernst in Wilflingen einkehren, sind während der Nazizeit auch
erklärte Gegner des Systems, sogar einige der späteren Verschwörer
vom 20. Juli 1944. Auch der Philosoph Martin Heidegger gehört
zu den engsten Vertrauten.
Über Ernst Jüngers Aversionen
gegen die NSDAP und die Machtergreifung Hitlers ist schon viel
geschrieben worden. Jörg Magenau erweitert die Sicht auf Friedrich
Georgs Gründe für die Ablehnung der Nazidiktatur. Besonders deren
Rassentheorie und der Judenhass, aber auch die Rohheit der Ideen, der
dumpfe Germanenkult sind ihm, dem Liebhaber der griechischen Antike,
zutiefst zuwider. Dass beide Brüder darin nur eine Ausgeburt der
Weimarer Demokratie sehen – diese Ansicht teilen sie mit vielen
Zeitgenossen aus dem rechts-konservativen Lager.
Der
Zweite Weltkrieg trennt die Brüder für die längste Zeit ihres
Lebens. Ernst ist als Hauptmann der Wehrmacht in Paris stationiert,
Friedrich Georg, der aufgrund seiner Kriegsverletzung nicht
eingezogen wird, lebt als Schriftsteller am Bodensee. In der
illusionslosen Beurteilung der Lage sind sie sich weitgehend einig.
Dennoch erleben sie das Kriegsende nicht als Befreiung, sondern als
Niederlage, wobei sie meinen, Besatzerwillkür und den Verlust des
deutschen Ostens gegen die Kriegsverbrechen der Nazis aufrechnen zu
müssen. Und wieder darf man es Magenau, als ehemaliger Redakteur von
„taz“ oder „Freitag“ doch eher links verortet, hoch
anrechnen, dass er den pädagogischen Zeigefinger tunlichst in der
Tasche behält.
Sieht man von dem mehrjährigen
Publikationsverbot für Ernst Jünger nach 1945 ab – er hatte sich
geweigert die Fragebögen zur Entnazifizierung auszufüllen, wie er
es auch ablehnte, sich von seinen frühen Texten zu distanzieren –
erscheint nun in rascher Folge das, was sich bei beiden Brüdern an
Material in den Kriegsjahren angesammelt hatte und was in den
Nachkriegsjahren hinzukommt. Eine reiche Ernte, die sowohl Wandlung
als auch Kontinuität bezeugt. Erwähnt seien hier nur Ernst Jüngers
richtungweisende Essays „Der Waldgang“ und „An der Zeitmauer“
und von Friedrich Georg neben „Perfektion der Technik“ der Roman
„Zwei Schwestern“, Gedichtsammlungen und drei Bände mit
Novellen. Und während sich Friedrich Georgs Werk in den sechziger
und siebziger Jahren fern aller modischen Attitüden vollendet
und zu unrecht wenig Beachtung findet – mit Sicherheit sind da noch
Schätze zu heben –, so beginnt für Ernst Jünger erst die aus
meiner Sicht wesentlichste Phase seines Schaffens, die mit dem
Kindheitsroman „Die Zwille“ und den bis übers hundertste
Lebensjahr fortgeschriebenen Tagebüchern „Siebzig verweht“
einsetzt. „Wald“ und „See“ beschließen bei Jörg Magenau den
Reigen der symbolischen Orte als Kraftzentren, aus denen die Brüder
ihre Energie schöpfen. Dasselbe gilt für die „vier Elemente“.
Das letzte Unterkapitel führt noch einmal nach „Wilflingen 1996“.
Es gebührt dem Element „Erde“ – die Stimmen der Toten rufen
von dort. „So würde alles wiederkehren, würde sich wandeln und
ewig gewesen sein. (…) Die Welt die er kannte, würde zugrunde
gehen und neu erstehen. Auch die Götter würden zurückkommen, so
wie der Halleysche Komet. Bis dahin würde es noch eine Weile dauern.
Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende. Aber was sind schon
Jahrtausende. Letzthinnig, dachte er mit einem Wort von Schelling,
letzhinnig bin ich Optimist.“ (S.312)
Jörg
Magenau:„Brüder unterm Sternenzelt“ 315 S., Klett-Cotta 2012.
22,95€
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