Noch ein Glossar?
Nach
dem Erscheinen des Buches „101 Asservate – Alter Worte Welt“
bekam ich viele Anregungen auf Lesungen, per Post oder per E-Mail:
einzelne bedrohte Wörter oder gleich ganze Wortlisten, oft mit dem
freundlichen Hinweis, dieses und jenes habe man vermißt, und es gab
auch Lücken, die mir selbst ärgerlich schienen, weil ich sie erst
zu spät bemerkt hatte.
Obwohl ich mich durch das Interesse geschmeichelt fühle, jedes Wort als Geschenk betrachte, weigere ich mich, der Versuchung eines Folgebandes nachzugeben. Die Erfahrung lehrt, daß solchen Projekten meistens die Frische und das Ursprüngliche des Anfangs verloren gehen. Schon gar nicht möchte ich mir das Etikett eines Laienetymologen und Wortklaubers anheften, der aus Mangel an aktuellen Stoffen das Museum der Sprache durchforstet, um hie und da ein wenig Staub wegzupusten und dabei doch nur das Abgestandene und Verbrauchte anpreist. Wenn ich nun doch wieder die Zettelkästen hervorhole, und dem Klang längst verrauschter und verwehter Wörter nachhorche, geschieht das nicht in der Absicht, die Asservatenkammer aufzufüllen, vielmehr aus dem Wunsch heraus, den Reichtum unserer Muttersprache nicht ohne Not preiszugeben; will heißen, wo mit dem Wort auch das Bezeichnete selbst abhanden kommt, bleiben Leerstellen, die unsere Kultur und zuletzt unsere Existenz infrage stellen.
Obwohl ich mich durch das Interesse geschmeichelt fühle, jedes Wort als Geschenk betrachte, weigere ich mich, der Versuchung eines Folgebandes nachzugeben. Die Erfahrung lehrt, daß solchen Projekten meistens die Frische und das Ursprüngliche des Anfangs verloren gehen. Schon gar nicht möchte ich mir das Etikett eines Laienetymologen und Wortklaubers anheften, der aus Mangel an aktuellen Stoffen das Museum der Sprache durchforstet, um hie und da ein wenig Staub wegzupusten und dabei doch nur das Abgestandene und Verbrauchte anpreist. Wenn ich nun doch wieder die Zettelkästen hervorhole, und dem Klang längst verrauschter und verwehter Wörter nachhorche, geschieht das nicht in der Absicht, die Asservatenkammer aufzufüllen, vielmehr aus dem Wunsch heraus, den Reichtum unserer Muttersprache nicht ohne Not preiszugeben; will heißen, wo mit dem Wort auch das Bezeichnete selbst abhanden kommt, bleiben Leerstellen, die unsere Kultur und zuletzt unsere Existenz infrage stellen.
Vom
Gehen über Streuobstwiesen
Hin
und wieder hebe ich einen angeschlagenen Apfel auf und beiße hinein,
bis aus seinem Kerngehäuse Wurmkot krümelt. Den angebissenen werfe
ich weg und stopfe mir die Taschen mit den am wenigsten beschädigten
voll. Der Duft des Herbstes begleitet mich auf dem Weg nach Hause. Am
heimischen Herd wird Mus oder Gelee gekocht. Die Vorräte an Zucker
schmelzen dahin. Minimale Kenntnisse in Physik helfen einem, die
Konserven haltbar zu machen. Man braucht die fest verschraubten
Gläser nur abkühlen zu lassen.
Eine
Eselsbrücke bauen
Die
Konstrukteure dieser Welt haben das Schießpulver nicht erfunden. Sie
wollen ja nicht, daß ihre Träume aus Stahl und Beton zu Staub
zerfallen. Irgendwann müssen sie damit rechnen, doch bis dahin
betreiben sie weiter ihr Stäbchenspiel, das wir auch als Mikado
kennen. Der Esel merkt sich jeden Weg, den er einmal im Leben
zurückgelegt hat. Aus diesem Grunde gelten Eselsbrücken als
besonders stabil. So folgte ich dem Großen Wagen durchs Labyrinth
der Sterne. Seit frühester Kindheit rumpelt er verläßlich über
den nächtlichen Himmel. Tagsüber wird viel gebaut, auch Häuser,
die lange Schatten werfen. Hat man sich erst den Raum erschlossen,
wird man vorwärts kommen, ohne ständig irgendwo anzustoßen.
Die
Schwerenot
An
manchen Tagen möchte er sich einfach fallen lassen. Die Schwerenot
hat ihn ergriffen, und man könnte ihn einen Schwerenöter nennen.
Ein Bedeutungswandel, der nicht ganz nachvollziehbar ist, macht aus
ihm einen Schürzenjäger. Obwohl er weiß, daß sein melancholisches
Augenklimpern die Wirkung auf Frauen nur selten verfehlt, setzt er es
nur sparsam ein, um Verwicklungen oder lebenslange Fußfesseln zu
vermeiden. Auch der Epileptiker wird von Schwerenot heimgesucht.
Dieser beißt sich eher auf die Zunge als im Zustand höchster
Anspannung auf Brautschau zu gehen. Schlafwandler gehören zu einer
anderen Spezies. Sie fühlen sich auf abschüssigen Dächern so
sicher wie ein Weberknecht an der Wand.
Spannelang
& nudeldick
Mit
ihren spannenlangen & nudeldicken Wörtern macht sich die
deutsche Sprache nicht unbedingt Freunde in der blitzgescheiten Welt.
Fahnenflüchtig ist sie ja längt, und wer ihr hinterherflitzt, wird
womöglich auf die Nase fallen. Es knackt im Gebälk, aus vollen
Rohren zischt und pfeift es, wenn die Dampfmaschine vom Müßiggange
erlöst wird. Kennen Sie noch das Dativ-E? Für den Hausgebrauch ist
es kaum von Nutzen und die Worterkennungsprogramme halten es
mittlerweile für einen Blinddarm. Das deutsche Liedgut fristet auch
ein Schattendasein. Sonst würde man gleich einstimmen in
„Spannelanger Hansl, nudeldicke Dirn, schüttelst du die Pflaumen,
schüttle ich die Birn’. Schüttelst du die großen, schüttle ich
die klein’. Wenn das Säcklein voll ist, gehn mer wieder heim.“
Ist nicht ganz logisch, weil Pflaumen normalerweise kleiner sind als
Birnen, oder man muß sich ein Bäumchen-wechsle-dich hinzudenken.
Die Spanne mit 20 cm anzugeben, wie heute allgemein üblich,
beweist, daß das Maß von Langfingern erfunden wurde.
Einen
Katzensprung weit
Vom
Glück kleiner Entfernungen wissen die Alten ein wehmütig’ Lied zu
singen. Im Dorf meiner Großeltern, wo ich jedes Jahr einen Teil
meiner Ferien verbrachte, war alles einen Katzensprung weit entfernt:
der Bäcker, der Fleischer, der Konsum, die Kirche, das Kino. Kino
war eigentlich die falsche Bezeichnung, eine von den Städtern
übernommene, denn im Dorf hieß das Gewölbe, wo freitags Filme
gezeigt wurden, nur der Festsaal. Man könnte allein darüber
Geschichten erzählen. Von der Konkurrenz weltlicher Feierstunden zu
den Gottesdiensten, vom Anbändeln & von bösen Händeln, von
wechselnden Fahnentüchern & Losungen. Doch darum geht es hier
nicht. Obwohl es für das Kind nicht so leicht war, den Katzensprung
zum Bäcker, bei dem es nur eine bucklige Straße zu überqueren
hatte, mit dem Katzensprung zum Konsum, der über geheime
Schleichwege führte, zu vergleichen, fragte es nie, wie lang so ein
Katzensprung eigentlich sei. Man sagte auch nicht Katzensprünge; den
Katzensprung gab es nur im Singular, ganz gleich, wie viele und
wieviel verschiedene Wegstrecken damit umschrieben wurden.
Jüngst habe ich meinem Onkel,
der noch immer im selben Dorf wohnt, einen Besuch abgestattet. Vom
Bahnhof ist es logischerweise nur ein Katzensprung bis zu seinem
Häuschen, das ein üppig blühender Vorgarten ziert. Seit ich selbst
einen erwachsenen Neffen habe, sage ich nicht mehr Onkel, zur
dritten Frau meines Onkels habe ich nie Tante gesagt. Aber
auch das gehört nicht hierher. Mich interessiert, was aus den
anderen Katzensprung-Objekten geworden ist. Der Festsaal?
Fehlanzeige. Nicht einmal mehr die Lücke, wo er einst stand, ist
geblieben; ein gut gepflegter Rasen mit Bänken löscht jede
Erinnerung an das Gebäude, das ich mir als ein Polygon aus Ziegeln,
Holz und Dachschiefer zurechtbastle. Keine Ahnung, ob er wirklich so
ausgesehen hat. Der Konsum? Der leerstehende Flachbau barg zuletzt
eine Niederlassung für Gärtnerbedarf. Inzwischen ist auch dieser
Handel unrentabel geworden. Bäcker & Fleischer, da weiß selbst
der Einheimische kaum noch, wo sie sich befanden. Es waren Läden in
Wohnhäusern, die man über eine Außentreppe oder durch einen
winzigen Anbau betrat. Die Schaufenster, falls es welche gab, sind
längst vermauert, das Mauerwerk neu verputzt und überstrichen. Nur
wer genau hinschaut, bemerkt vielleicht noch einen Wechsel in der
Körnigkeit des Mörtels, falls nicht Dämmplatten jede
Unterscheidung unmöglich machen. Zum Einkaufen muß der Dörfler in
die nächste Stadt fahren. Die war immerhin mal Kreisstadt und hat
von daher ein viel zu großes Rathaus. Allein die Kirche ist im Dorf
geblieben. Das ist ja auch nicht schlecht. Haben wir den Katzensprung
zum Kirchberg geschafft, sehen wir gleich, daß über die schadhaften
Treppen schon lange keine Schar Gläubiger mehr Einlaß begehrt hat.
Dabei stand sie schon einmal fast zwanzig Jahre ohne Turm da. Zwar
wurde der Turm rekonstruiert, allein die Kirchgänger blieben aus.
Wenigstens schlägt die Uhr pünktlich alle Viertelstunden. So ist
das nun auf dem Lande, sagt der Onkel und streichelt seinen
prächtigen Kater, der schon Winterfell hat. Der Kater kennt keine
Versorgungslücken. Ist die Amsel nicht flink genug, wird sie im
Katzensprung aus der Rotdornhecke gegrapscht.
das mit Schnurren gefüllt ist
und den Eindringling am Schlafittchen packt.
Im Keller hängt ein Blümerant in den Spinnweben.
Die Durchgänge sind mit Schwellenangst bestrichen.
Im Treppenhaus lauert der Kniefall
auf den unteren Stufen lungert die Demut herum
und auf den oberen spukt die Verunsicherung.
In der Küche herrscht das Tohuwabohu.
Zwischen Brosamen windet sich der Geduldsfaden.
Im Schlafgemach plustert sich Lumpenpack
in das Lichtangeln eingewebt sind.
Ein Geflissentlich huscht über die Flure.
Nur immer hinein in den Salon der Bekümmernis
mit seiner Gardinenpredigt
und dem Dahinwelken seines Stillebens!
Allein das Oberstübchen
gebärdet sich frohgemut
und kehrt den Hansdampf heraus.
Zahnspangenfrech grinst der Weiland vom Dach.
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